Semmering, der träumende Zauberberg

20240518 113910

Mit der Eröffnung der Südbahnstrecke 1854 wurde es möglich, von Wien nach Triest zu reisen. Die einstmals unüberwindliche Barriere, der Semmering, war überwunden. Es dauerte beinahe zwei Jahrzehnte, bis der Semmering aus seinem Tiefschlaf erwachte und zum mondänen Kurort wurde. Eine Zeitreise auf einer Wanderung zu den Villen am Semmering.

20240518 114102

"Schönthaler, akademischer Maler, der die Kuppel der Rotunde in Wien malte, war ein eifriger Tourist und ein besonderer Freund des Semmerings, obwohl daselbst schlechte Unterkunft war." (Auszug aus dem Gedenkbuch der Pfarre Schottwien)

Vor etwa 160 Jahren gab es drei Männer, die eine gemeinsame Vision hatten. Der Wiener Künstler Franz Schönthaler, der Direktor der Südbahngesellschaft Friedrich Julius Schüler und der Architekt Franz Neumann. Sie kann man als die Gründerväter des Kurortes Semmering anerkennen. Der Luftkurort Semmering sei künstlich entstanden, so erzählt es mir die Kulturvermittlerin Ulli Tonn bei einer Exklusivführung durch das Südbahnhotel.

Wie kam es dazu?

Der Wiener akademische Maler Franz Schönthaler reiste häufig in diese schroffe Gebirgslandschaft; er erkannte das Potenzial dieser Gegend und machte den einflussreichen Direktor der Südbahngesellschaft Friedrich Julius Schüler auf die Schönheit der Naturlandschaft aufmerksam. Franz Neumann, ein angesehener Architekt des Kaiserreiches, war der Dritte im Bunde. Zumal die Bauern in diesem Gebiet in bitterster Armut ihr Dasein fristeten, verkauften viele ihre Gründe. Der, ursprünglich der Semmeringbahn skeptisch gegenüberstehende Peter Rosegger, verarbeitete in seinem Roman "Jakob der Letzte", diese vorherrschende Armut und den Ausverkauf der Höfe an Spekulanten.

Wo einst des Nachts die Wölfe heulten, entstand am Wolfsbergkogel das Hotel Semmering und erste Villen. Später wurde in der Nähe das legendäre Südbahnhotel errichtet. 

20240518 110044

Traumwandeln in die Vergangenheit

Die historischen Villen am Semmering stehen schon lange auf meiner #meexplore Liste und ich muss an dieser Stelle anmerken, dass es keinen ausgewiesenen Villenweg gibt. Es ist ein Spleen von mir, meinen Kulturwanderungen einen Namen zu verpassen. Falls es ihn noch nicht gibt, "Et Voila`", der"Semmeringer Villenweg". Entlang dieser Straßen befinden sich die historischen Villen. Entlang der Hochstraße, der Südbahnstraße, der Adlitzgrabenstraße, der Villenstraße und einigen anderen. Es gibt die Möglichkeit, sich Fahrräder im Ort auszuleihen. Ich ziehe das Flanieren vor, wie es für einen Ort wie diesen aus meiner Sicht besser geziemt. An der Hochstraße entlangschreitend, vorbei am Hotel Panhans und der malerischen Pfarrkirche mit dem Pfarrhaus. Beide Gebäude sind wunderschöne Beispiele des Semmeringer Villenstils. Dieser zeichnet sich durch eine alpenländisch geprägte Formgebung, mit Erker und Türmchen aus, die Dächer sind mit grünen Biberschwanzziegeln gedeckt. Am Straßenrand finde ich Museumsbuchten mit roten Schaukästen. Das, 2015 schön renovierte, aus dem Jahr 1910 stammende Wetterhäuschen, steht in einer solchen Bucht und dahinter eröffnet sich ein grandioser Ausblick auf die beeindruckende Dachlandschaft des Südbahnhotels, wie auch auf die Raxalpe und den Schneeberg.

20240518 115040

Sich im stillen Dialog mit den Villen und der Landschaft befindend, erreiche ich ein einzigartiges Naturjuwel. Die, mit dem Stamm einer mächtigen Buche verwachsene Gedenktafel des Fürsten von Liechtenstein. Er förderte u.a. den Bau der Pfarrkirche und des Pfarrhofes. Etwas weiter unten erreiche ich das Südbahnhotel. Mit dem Gefühl als betrete ich verwunschenes Territorium, schreite ich unter der Torbrücke hindurch, welches mit dem Hotelwappen geziert ist. Riesige Container türmen sich vor mir auf, in denen sich die Kulissen der Produktion „Alma“ befinden. Sie wurden vom Produzenten Paul Manker hier „vergessen“. Das ist jedoch eine andere Geschichte, über die man im Internet nachlesen kann. Der Eingang ist verschlossen und so spaziere ich weiter zu einer Steintreppe die in eine Wildnis führt, welche früher wohl ein Park gewesen ist. Ein Pfad schlängelt sich durch diese und ich entdecke eine weitere versteckte Villa, mitten im Wald.

Das Südbahnhotel, einst Grande Dame am Zauberberg

Auf meinem Rückweg drücke ich frech den Klingelknopf und tatsächlich wird mir aufgemacht. Eine Führung ist gerade zu Ende und die Gruppe strömt heraus. Die freundliche Kulturvermittlerin Ulli Tonn gewährt mir spontan eine Exklusivführung. Verzaubert stehe ich im Foyer und mit ein bisschen Fantasie fühlt man sich sofort in die Zeit der Hochblüte dieses Gebäudes zurückversetzt. 1882 wurde das Südbahnhotel eröffnet. Als Grand Hotel und wie mir Ulli Tonn berichtet, waren die Vorgaben für ein Grand Hotel genau definiert: Eine Drehtür am Eingang, mindestens ein Turm und fünf Stockwerke. Das Südbahnhotel ist auf 18.000 m² Fläche verbaut. Dieses Grand Hotel, nach dem Vorbild der Palasthotels französischer und englischer Eisenbahngesellschaften, war das Zweite nach Toblach, die von der Südbahn Gesellschaft unter Friedrich Julius Schüler errichtet wurden. Danach folgten die Grand Hotels in Abbazia und Görz. Ich kann die Geschichte des Hotels hier nicht Wort für Wort wiederholen, deshalb möchte ich auf die großartige und spannende Führung der Kulturvermittlerin Ulli Tonn verweisen.  (Siehe Tipps am Ende)

20240518 105023

Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut

Das Südbahnhotel war eine „Gated Community“, was so viel bedeutet wie geschlossener Komplex mit Zugangsvorschriften und Beschränkungen einer Drei-Klassen-Gesellschaft. Die erste Klasse war jene der gekrönten Häupter und des Adels, sowie der reichen Geschäftsleute aus aller Welt. Die zweite Klasse war jene der hohen Beamten, Bürger, Intellektuellen und Künstler:innen und die dritte Klasse, jene der kleinen Beamten, der Bediensteten, Arbeiter und Angestellten. Diese kamen als Tagesgäste aus Wien angereist und für sie gab es erschwingliche Zugbigliettes. Der findige Südbahndirektor Friedrich Julius Schüler wusste, wie man ein Unternehmen profitabel machte. Im Hotel waren für jede Klasse eigene Räumlichkeiten vorgesehen. Die oberen Räume, die Terrassen, das Café, der große Saal mit der Bühne, die Amerika Bar -diese war in allen Grand Hotels ein must to have - waren der ersten Klasse vorbehalten. Im großen Saal unter den Kronleuchtern stehend und die kunstvollen Wand- und Deckenfriese bewundernd, schließe ich die Augen für einen Moment und es scheint mir, als hörte ich das Rascheln der Seidenkleider, das zarte Geräusch, wenn Porzellan aufeinandertrifft, leise Musik und Gemurmel. Die Geister von damals, sie sind immer noch hier.

20240518 105023

Ein eigenes Universum entsteht

Nachdem die ersten Hotels und Villen entstanden waren, blühte der Kurort auf. Betuchte Leute aus Wien und den Kronländern mieteten sich in den Villen ein oder bauten ihre eigenen. Der Semmering war bis vor dem Zweiten Weltkrieg  „place to be“ und im Gefolge: Adelige, Reiche, Intellektuelle, Dichter, Musiker, Philosophen und und allerlei interessantes Volk. Die Straßen wurden im Sommer geölt, damit kein Staub entsteht und die Errichtung eines Friedhofes war verboten, damit das Grundwasser rein bleibt. Gasthäuser und Cafés entstanden und in der Saison gab es in diesen den 5 Uhr Tee mit Musik und Tanz. Der Pächter und Koch vom Südbahnhotel, Viktor Panhans, baute an der Hochstraße sein eigenes Grand Hotel. Das PANHANS. Ich erinnere mich, als ich im Panhans vor 20 Jahren für Mitarbeitende eines namhaften österreichischen Unternehmens Seminare leiten durfte. Für die leitenden Angestellten und deren Wohlbefinden wurden keine Kosten und Mühen gescheut. Das Unternehmen wurde später mit einem internationalen Konzern fusioniert und damit waren solche Seminare Geschichte. Das Panhans ist "vorübergehend geschlossen", wie es auf der Webseite verlautet wird.

20240518 124558

Der Zauberberg

So wird der Semmering - in Anlehnung an den Roman von Thomas Mann - auch gerne genannt, träumte bis vor den Zweiten Weltkrieg den Traum einer eigenen, nach außen  abgeschirmten heilen Welt.  Aufstände, Revolutionen und Kriege, all dies konnte ihm wenig anhaben. Der Niedergang setzte im Zweiten Weltkrieg ein und der Kurort versank für Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf, bis man ihn für den Wintertourismus neu entdeckte und wachküsste.

Ulli Tonn führt mich in das Untergeschoß, in die sogenannte Bierstube, die für die dritte Klasse vorgesehen war und hinauf auf die Terrasse, von der ich mit einer überwältigenden Aussicht auf die Bergwelt überwältigt werde. Das gesamte Hotel ist einem Luxusschiff nachempfunden, wie die Kunsthistorikerin mir eröffnet.

In der Tat verzaubert verlasse ich diesen Ort und wandere zurück. Entlang der Hochstraße, vorbei an verlassenen Läden, den Villen und den, etwas abseits in den Hang gebauten Plattengebäuden aus den Siebzigern. In der "Kaffeehalle" an der Hochstraße kehre ich ein und genieße einen großartigen Espresso macchiato. Man sollte sich von der Fassade des Lokals nicht täuschen lassen. Dieses Kaffeehaus ist einen Besuch wert und ich werde mit Kaffee, Streuselkuchen und einer formidablen Aussicht belohnt.

Tipps:

 Führungen - Information - Südbahnhotel-Kultur

Ulli Tonn hat eine ganz spezielle Führung im Südbahnhotel entwickelt. Sie führt auch private Gruppen ab 5 Personen. Preis pro Person 25,--Euro. Siehe Link oben: Südbahnhotel-Kultur

Spielplan Semmering Kultursommer 2024

Buch: Günther Buchinger Villenarchitektur am Semmering
Buch: Désirée Vasko-Juhász: Die Südbahn - Ihre Kurorte und Hotels

Viele Bücher über den Semmering

Bahnwanderweg am Semmering

Bücher von der Autorin Ingeborg Hofbauer

Community für alleinreisende Frauen und alle, die es werden wollen

Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

Einfach Anmelden und keine Neuigkeit mehr verpassen.

Natürlich können Sie dieses Abo jederzeit mit einem Abmeldelink in den zugesendeten Emails stornieren. Ihre Email-Adresse wird ausschließlich zu diesem Zweck genutzt und wird mit Beendigung des Abo direkt gelöscht. Insbesondere erfolgt keine Weitergabe an unberechtigte Dritte. Mehr dazu lesen Sie in der Datenschutzerklärung.

News abonnieren