Die Autos sind weg, der Stier ist stark geblieben - Faszination Turin

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„Schau, da ist ein Mann auf einem Pferd!“ Schauplatz der Handlung ist ein Saal des Museo Nazionale del Risorgimento Italiano in Turin, wo auf einem Sockel eine Reiterstatue des Freiheitskämpfers Garibaldi steht.

Beinahe lasse ich mich dazu hinreißen, der Deutsch sprechenden Mutter und ihrem Sohn eine Erklärung darüber abzugeben, vor wem sie hier stehen. Ich gebe es zu: Mich fasziniert dieser Mann, Giuseppe Garibaldi, hier lebensecht dargestellt, bekleidet mit rotem Hemd, braunem Umhang, blauer Hose mit roter Lampasse und auf dem Kopf das schwarze Barett, die signifikante Kopfbedeckung der Revolutionäre. Stolz sitzt er auf seinem Pferd, der treuen Schimmelstute Marsala, die unweit von Garibaldis Grab auf Caprera begraben wurde.

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Über allem wacht Taurus, der Stier und Wahrzeichen der Stadt.

Seit zwei Tagen befinde ich mich schon in Turin, Hauptstadt des Piemonts und zugleich bedeutendste Stadt des Risorgimentos. Eine Stadt, die sowohl eine reiche Historie als auch eine enge Verbindung zu Österreich nachweisen kann. Ab den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stieg Turin zum Zentrum der italienischen Autoindustrie auf. Der FIAT 500 eroberte Europa und ist für Italien das, was für die Deutschen der VW-Käfer und für Frankreich der Renault 4 ist. Am 4. Juli 1957 wurde der FIAT Cinquecento unter dem Namen „Nuova 500“ erstmals vorgestellt. Er wurde zum Symbol für das Wirtschaftswunder Italiens. Das Auto für ALLE war leistbar und trug maßgeblich zum Aufstieg der Familie Agnelli bei. Tausende Arbeiter aus Süditalien wurden in den Produktionshallen von FIAT (Fabbrica Italiana Automobili Torino) beschäftigt. Der arme Süden sandte Arbeiterinnen und Arbeiter, aber zu welchem Preis? Entwurzelt, ausgebeutet und ausgegrenzt. Studentinnen und Studenten der 68er-Generation solidarisierten sich mit den Arbeitenden in den FIAT-Werken und es kam zu großen Streiks für gerechtere Löhne und bessere Arbeitszeiten. Die berühmt-berüchtigte italienische Streikkultur, die bis heute fest in der italienischen Gesellschaft verankert ist, fasste hier ihre Wurzeln.

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Das Symbol des italienischen Kapitalismus - Die Familie Agnelli

Ungeachtet dessen war der Aufstieg der Agnellis unaufhaltsam und sie erreichten in Italien fast den Status einer Königsfamilie. Glamourös, reich an Affären, von Schicksalsschlägen getroffen. Heute zählen zu ihrem Imperium die Marke Cinzano, die Zeitschrift La Stampa und der Fußballverein Juventus. FIAT, der Stolz der Italienerinnen und Italiener, wurde mit anderen Automarken fusioniert und zum Giganten Stellantis vereinigt. Das FIAT-Werk in Lingotto ist geschlossen; heute befinden sich dort ein Einkaufszentrum, Banken und Büros. Die alte Rennstrecke gibt es jedoch immer noch auf dem Dach, wo einst die Autos frisch aus der Fabrik überprüft wurden. Lingotto und das in der Nähe gelegene Automobilmuseum sind auf jeden Fall einen Besuch wert.

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Esoterik und Kunst

Neben vielen Museen und Ausstellungen ist das ägyptische Museum eines der eindrucksvollsten, denn es enthält die zweitgrößte Sammlung ägyptischer Kunst nach Kairo. Sonderbar ist der Hang zur Magie, der hier vertreten ist. Auf esoterische Menschen übt Turin einen besonderen Zauber aus. Auf der Piazza Castello, zwischen den Figuren Castor und Pollux, soll die Trennlinie zwischen schwarzer und weißer Magie verlaufen. Mit dem Rad fahre ich hier mehrmals im Kreis, kann aber keine außergewöhnliche Energie feststellen. Für an Esoterik und Magie Interessierte ist es möglich, eine spezielle Tour durch das magische Turin zu buchen.

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La Po-esia

Von meinem Campingplatz in Stadtnähe führt ein wunderschöner Radwanderweg entlang des Flussufers direkt ins Zentrum. Der Po ist hier breit, ruhig fließend und bei Kanusportlerinnen und -sportlern äußerst beliebt. Die tägliche Fahrradtour in die Stadt und zurück entlang des Po genieße ich mit allen Sinnen. Das träge Fließen, die baumbewachsenen Ufer und die bunten Kanus auf dem Fluss geben ein malerisches Bild ab.

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Die verliebten Lampen

Am letzten Tag mache ich auf der Hinfahrt im Parco del Valentino halt und spaziere auf Pfaden, die von Blumen und Sträuchern gesäumt sind, durch diese grüne Oase und den Erholungsraum der Städterinnen und Städter. Inmitten von alten Bäumen entdecke ich eine Bank mit einer Kunstinstallation. Aus meinem Reiseführer entnehme ich, dass diese „verliebten Laternenpfähle" ein beliebtes Instagram-Motiv sind. Der Radweg mündet direkt in den Corso Vittorio Emanuele II im Zentrum, wo ich das Fahrrad ankette, wie es alle tun, um Besichtigungen zu machen oder eine Bar zu besuchen.

 

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Große Geschichte der bewegten Bilder

In der Mole Antonelliana befindet sich das Museo Nazionale del Cinema und ein weiterer Höhepunkt meines Aufenthaltes in Turin. Der 167 Meter hohe Turm, das Symbol von Turin, war ursprünglich als Synagoge geplant, wurde jedoch nie als religiöse Stätte genutzt. Die Warteschlange vorm Ticketschalter ist kurz und bald tauche ich ein in die Geschichte der bewegten Bilder. Ich liebe das Kino und viele Erinnerungen an alte Filme und die damit verbundenen Stationen meiner eigenen Biografie werden in diesen Räumlichkeiten wieder wach. Der ultimative Höhepunkt ist die Fahrt mit dem Panoramaaufzug auf die Aussichtsplattform in 85 Metern Höhe, von der aus man einen tollen Blick über die Stadt, die Berge und den Po hat.

Bicerin

Bicerin - das beliebteste Heißgetränk der Turiner

Mich zieht es in das Treiben der Stadt und in die Via Garibaldi zurück, die größte Einkaufsstraße Turins, gesäumt von Arkaden, wo sich kleine Läden, Bars, Restaurants und viele Bookstores aneinanderreihen. In der Bar Baratti & Milano nahe der Galleria Subalpina bestelle ich mir einen Bicerin. Erfunden wurde diese süße Versuchung im Caffè Al Bicerin: eine Kreation aus heißer Schokolade als Basis, einem kräftigen Espresso darüber und einer Haube aus crema di latte obenauf, serviert im Glas, damit man die drei Farbnuancen schön sehen kann. Es ist das Traditionsgetränk der Turinerinnen und Turiner. Das Caffè Al Bicerin, 1763 gegründet, war für Nietzsche, Puccini, Eco und andere Größen das zweite Wohnzimmer.

Was ist nun mit dem Grabtuch von Turin?

Eine Kopie des heiligen Grabtuches ist in einer kleinen Seitenkapelle auf der rechten Seite der Cattedrale di San Giovanni Battista zu sehen. Spekulationen über Echtheit und Mythen rund um dieses Tuch lassen sich gut im Internet nachlesen.

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Die tollste Einkaufpassage der Stadt

Die Galleria Subalpina ist mit ihren Kronleuchtern, Sofas, schönen Geschäften und Blumendekorationen die schönste Einkaufspassage der Stadt.

Turin ist eine großartige und lebenswerte Stadt, die den Industriemief weit hinter sich gelassen hat. Für dieses Mal ist es genug – ein nächstes Mal gibt es auf alle Fälle!

 

Mein persönlicher Tipp:

Torino Magica® Tour https://www.somewhere.it/. Für Fußballbegeisterte das Juventus-Museum. Die historischen Kaffeehäuser der Stadt, im Speziellen Caffè Al Bicerin, Piazza della Consolata, 5.

 

Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

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