Friaul - auf Schatzsuche im Schwellenland

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Gina Lollobrigida, posierend auf einer Schaukel im Meer. Sophia Loren und Marcello Mastroianni auf einer Vespa und Anita Eckberg, lasziv tanzend im Trevi Brunnen. La dolce Vita, großes Kino und der legendäre Fiat 500. Diese Bilder sind in uns Nordländern archetypisch verankert und die Sehnsucht hat einen Namen: "Italien". Begleiten Sie mich in den Friaul und entdecken Sie mit mir eine Region, die sich durch Kreativität, Mut und Vielfalt auszeichnet.

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Weil Friaul eben auch Italien ist.

Prosciutto und Prosecco waren es ursprünglich, von innovativen Menschen als Tourismusmagnete erkannt und erfolgreich vermarktet. Doch vermögen Schinken und Schaumwein den Reisenden nur für kurze Zeit aufhalten, bevor es ihn weiter ans Meer zieht. Ein Schwellenland ist das Friaul, ein Übergang vom Berg zur Ebene, zum Meer.  Von der Mehrzahl der Reisenden kaum beachtet, ja links und rechts liegengelassen, hat es sich durch das große Erdbeben 1976 aus dieser Weltvergessenheit dramatisch in Erinnerung gebracht. Seither erfindet es sich kontinuierlich neu. Das sind die positiven Seiten einer Krise, die verborgene Schätze ans Licht bringt, auf fantasievolle und kreative Art und Weise. Ich lade Sie ein, auf der Fahrt ans Meer eine Pause einzulegen, um mit mir eine Region der Vielfalt, harmonisch, aber auch spannungsvoll zwischen Fella und Tagliamento, zwischen gelebter Tradition und Innovation, zwischen Bitterem und Süßem zu entdecken.

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Im Kanaltal ist das ganze Jahr Weihnachten.

Auf meiner Fahrt lege ich in Malborghetto Valbruna eine Pause ein. Dieses viersprachige Dorf im Kanaltal, wo noch immer Slowenisch, Italienisch, Deutsch, wie auch Furlan, der friulanische Dialekt gesprochen wird. Der Name Casa Oberrichter zeugt von der deutschen Vergangenheit und ich statte ihr einen Kurzbesuch ab, neugierig darauf, was sich seit meinem letzten Besuch getan hat.  Wie zuletzt erwartet mich eine positive Überraschung. Dieses alte, sehr geschmackvoll restaurierte Gebäude beherbergt ein Restaurant, dessen Räumlichkeiten in bunten, fröhlichen Farben erstrahlen. Wie bereits in meinem Buch Italia da sola erwähnt, finden hier immer wieder Kunstsymbosien statt, was die bemalten Hauswände in der Nachbarschaft bezeugen, wie auch die vielen Kunsthandwerks-Dinge, die in den Räumlichkeiten gezeigt werden. An diesem Ort ist das Thema „Weihnachten“ allgegenwärtig und zieht die Herzen aller Kinder, sowohl groß als auch klein, in ihren Bann. Ich trinke einen hauseigenen Natursaft, schieße einige Fotos und genieße das Ambiente. Der Saft geht aufs Haus und ich setze meine Reise fort.

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Coraggio - Mut nimmt in Illegio Gestalt an

Seit 2004 sind es mutige und engagierte Menschen, die in diesem kleinen Bergdorf Jahr für Jahr eine hochkarätige und thematische Kunstausstellung organisieren. Von Tolmezzo führt ein Sträßchen in zahlreichen engen Kurven hinauf und ich erreiche eine Hochebene, die den Blick auf die höchsten Gipfel der karnischen Alpen freigibt. Auf einem Hügel über dem Dorf ist das Taufkirchlein Pieve di San Floriano aus dem 9. Jahrhundert zu sehen. Bereits vor einigen Jahren entdeckte ich Illegio und wanderte  hinauf zu diesem Schmuckstück aus der Renaissancezeit. Sie ist eine der Kirchen des Cammino delle Pievi, dem Taufkirchenweg, der in 20 Etappen erwandert werden kann. Diesmal bin ich für die Ausstellung gekommen und möchte an dieser Stelle anmerken, dass es ratsam ist, sich im Vorfeld über die Internetseite anzumelden. Der Andrang ist beachtlich. Mein Slot ist erst in drei Stunden und so mache ich es mir im kühlen Schatten einer Loggia bequem um den Austellungskatalog zu studieren. Zutiefst beeindruckt finde ich mich vor Kunstwerken in der Casa delle Esposizioni wieder, die ich teils aus Kunstgeschichtsbüchern kenne und teils bereits in anderen europäischen Museen gesehen habe. Die Ausstellung zeigt religiöse und spirituelle Kunst, vorwiegend aus der Barockzeit.  Andächtig gehe ich von Gemälde zu Gemälde, von Ausstellungsstück zu Ausstellungsstück. Ich trete in einen inneren Dialog mit den Werken, die in einer wunderbar poetischen Art und Weise erklärt werden - sowohl im Katalog als auch über den QR-Code in deutscher Sprache. Coraggio - der Mut ist das diesjährige Thema und lässt mich die Bilder und ihre Geschichten dahinter mit ganz neuen Augen sehen.

„Kunst zu schaffen, ist also eine Übung in Mut. Es geht um den Mut, etwas Neues zu tun, ohne um Erlaubnis zu fragen. Kunst erzeugt Trost, Inspiration, Emotionen. Und sie weckt in jedem Menschen, in den Künstlern wie in denen, die ihre Werke genießen, diese Sehnsucht nach dem Himmel, intensiv und bezaubernd, die heimlich und hartnäckig in den Stunden, dem Schweigen, den Tränen und Umarmungen der Menschen wohnt." Zitat aus dem Katalog.

Nach dieser geistigen und seelischen Nahrung speise ich im La Buteghe di Pierute, die vorwiegend einheimische Speisen auf der Karte hat. An diesem heißen Tag verzichte ich auf das typische friulanische Gericht "Frico".  Bei 32 Grad ist mir das aus Kartoffeln und Käse zubereitete Essen doch zu schwer. Das Lokal ist bis auf den letzten Platz belegt, aber für mich als Soloreisende findet sich ein schönes Plätzchen am Fenster. Was mich abermals daran erinnert, warum ich gerne nach Italien reise. Frauen, die alleine reisen, werden hier anders wahrgenommen und mit Achtung behandelt. Mit besten Empfehlungen an dieser Stelle an österreichische Restaurantbesitzer, die sich da was abschauen könnten. Dieser kleine Seitenhieb muss sein.

Vorbei an der Mühle "Mulin dal Flec", die heute noch für die Dorfbewohner mahlt, verlasse ich diesen einzigartigen Ort.

 

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Tradition, Kulinarik und Schweiß

Ich fahre nach Westen, entlang des Tagliamento und erreiche Sutrio. Mein Quartier befindet sich am Fuße des Monte Zoncolan in Cercivento. Wenn ich nicht in meinem Camper übernachte, ziehe ich die preisgünstigen Agriturismi vor. Die Cjase Cjandin wurde liebevoll restauriert; die Zimmer in diesem, aus Stein erbautem Haus, sind angenehm kühl und überdies wird ein reichhaltiges Frühstück angeboten. Auch Motorradfahrer scheinen diese Unterkunft zu schätzen, weil sie direkt an der Straße zum Plöckenpass liegt. Die Osteria da Alvise im nahegelegenen Ort Sutrio hat sich dem regionalen Slow food verschrieben und nach einer fulminanten und köstlichen Cena reserviere ich die nächsten drei Abende vor. Laut meiner Erfahrung wird man in Italien, sobald man ein zweites Mal dasselbe Lokal besucht, bereits als Stammgast begrüßt und behandelt. Sutrio pflegt das traditionelle Holzhandwerk sowie die Schnitzkunst. Überall im Ort befinden sich Skulpturen, die das Dorfleben widerspiegeln. Im Advent werden überall im Ort Krippen aus Naturmaterialen fantasievoll ausgestellt. Der späte Wohlstand, der durch den Wander- Schi- und Bikertourismus hervorgerufen wurde, hat dieser Region gut getan, indem die Häuser sensibel im ländlich-regionalen Stil renoviert wurden. Das Landschaftsbild wird durch den Monte Zoncolan dominiert, der beim Giro d’Italia zu den schwierigsten Bergwertungen gehört. Er zieht zahlreiche Radfahrer aus ganz Europa an, so erzählt man es mir und so darf es sein. Ich werde ihn ohnehin nie erklimmen. Weder zu Fuß noch mit dem Rad. Die Aussicht oben soll jedoch überwältigend sein.

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Buon Ferragosto

Die Ursprünge des Ferragosto reichen bis ins Römische Reich zurück. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort "feriae Augusti" ab, was "Ferien von Augustus" bedeutet. Das Fest wurde im Jahr 18 v. Chr. durch Octavian Augustus eingeführt. Nach ihm wurde der Monat benannt. Der Festtag wurde von der katholischen Kirche um das 7. Jahrhundert übernommen, als man begann, Mariä Himmelfahrt zu feiern. Wie an jedem Feiertag und Sonntag trifft sich la famiglia zum Picknick am See, in den Bergen oder an Flüssen. Mich zieht es an den Lago di Cavazzo. Glücklicherweise bin ich früh dran und bekomme einen schönen, schattigen Parkplatz. Bepackt mit Liegebett, Getränk und Buch, finde ich ein Plätzchen unter Schatten spendenden Bäumen, springe sogleich in das kühle Wasser des Natursees, der inmitten von bewaldeten Bergen ruht. Der Strand beginnt sich langsam zu füllen. Gruppen von jungen Leuten und Großfamilien werfen ihre Griller an und packen ihre Kühltaschen aus. Picknick ist ein Stück italienische Kultur und ein Lebensgefühl. Das Ganze wird durch Hubschraubergetöse begleitet, die Wasser  tanken, um einen Brand in den Bergen zu löschen. Niemand scheint sich daran zu stören und auch ich genieße den heißen Sommertag mit Beobachtungen, meinem Buch und einem kühlen Bier vom Kiosk. Ein Campingplatz befindet sich direkt am See und verfügt über Mobilheime. 

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Friaul und Pier Paolo Pasolini

Gino Lollobrigida posierend auf einer Schaukel im Meer. Sophia Loren und Marcello Mastroianni auf einer Vespa und Anita Eckberg, lasziv im Trevi Brunnen tanzend. La dolce Vita, großes Kino und der legendäre Fiat 500. Es sind diese Bilder, die in uns Nordländern archetypisch verankert sind und mit denen wir unsere Sehnsucht nach Italien verknüpfen. Es waren die Sechziger und es war jene Zeit, in der Pier Paolo Pasolini, einer der größten und umstrittensten Filmemacher und Dichter, lebte. 

Casarsa della Delizia, ist das Dorf, aus dem seine Mutter stammte und in dem Pier Paolo Pasolini (PPP) als Kind seine Ferien verbrachte. Hier entstanden seine ersten Gedichte im Dialekt seiner Mutter. Den Vater verachtete er, da dieser dem Faschismus nahestand. PPP war in jungen Jahren Lehrer in Casarsa, wurde jedoch von einem Priester, dem er seine Homosexualität beichtete, diskreditiert. Ein kleines Dorf im Friaul, ein homosexueller Lehrer zu jener Zeit. Mit seiner Mutter "floh" er nach Rom, wo er seine spätere Karriere begründete. Ungeachtet dessen blieb PPP dem Friaul verbunden und drehte unter anderem den Film Medea in der Lagune von Grado, in dem Maria Callas die Hauptrolle spielte.  Pasolini war ein radikaler Geist, der von der italienischen Gesellschaft gleichermaßen geliebt und gehasst wurde, auch aufgrund seiner Homosexualität, die öffentlich ausgeschlachtet wurde. Wahrscheinlich einer der Gründe die ihn zum Opfer eines brutalen Mordes machte, der nie vollständig aufgeklärt wurde.

Im friulanischen Casarsa della Delizia würdigt man heute dem großen Künstler und im Studienzentrum "Pier Paolo Pasolini" sind Werke ausgestellt, die während seines Aufenthaltes hier entstanden sind. Es finden regelmäßig Veranstaltungen statt, wie zum Beispiel am 25. August 2024, wo ein Radweg zu Orten seines Wirkens eröffnet wird.  Vieles, was er in seinen Filmen als fiktionale Radikalität vorhergesagt und große Empörung ausgelöst hat, wurde italienische Realität und hat das dolce vita der Sechziger verdrängt. Pier Paolo Pasolini war u.a. mit dem österreichischen Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka viele Jahre gut befreundet. 2025 ist der 50. Todestag des großen Italieners.

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Vom Bitteren zum Süßen

Meine Reise beschließe ich mit einem Aufenthalt in Cividale. Un caldo di morire, es herrscht eine Mörderhitze. Zum Glück hat mein Zimmer in der Locanda AL Pomo d’Oro eine Klimaanlage. Die heißen Stunden verbringe ich unter schattigen Bäumen am Ufer des Natisone und schaue mir die Teufelsbrücke von unten an. Am Abend flaniere ich durch dieses entzückende Städtchen mit den vielen kleinen Läden und Boutiquen. Bevor ich am nächsten Morgen die Heimreise antrete, gönne ich mir Cappuccino und süße Köstlichkeiten in der Zuckerfee. Seit 10 Jahren führt ein deutsches Paar diese Pasticceria an der Piazza Paolo Diacono 5. Wer an diesem Ort den süßen Verlockungen widerstehen kann, sollte ernsthaft sein Leben überdenken.  

Lust bekommen auf mehr Friaul? In meinem Buch Italia da sola gibt es mehr davon.

 

Links und Tipps:

Coraggio-Mut Ausstellung in Illegio

Casa Oberrichter Malborghetto

Agriturismo Cjase Cjadin Cervicento - auf booking.com

Tiere Viere Agriturismo Dordolla Kaspar Nickles Dordolla /spricht Deutsch

Pasticceria Die Zuckerfee Piazza Paolo Diacono 5 Cividale

Osteria da Alvise Sutrio regionale Spezialitätn Inhaberin spricht Deutsch

Studienzentrum Pier Paolo Pasolini in Casarsa mit allen Veranstaltungen

Community für alleinreisende Frauen

 

Buchtipp:

Italia da sola - 100 Tage, 100 Orte, 100 Glücksmomente Ingeborg Hofbauer Verlag Hermagoras  ISBN: 978-3-7086-1312-3

Der Taufkirchenweg in Friaul Cammino delle Pievi von Birgit Kaltenböck/Anton Pustet Verlag

Pier Paolo Pasolini: Die lange Sraße aus Sand. Italien zwischen Armut und Dolce Vita.Verlag Corso                                  ISBN 978-3-7374-07118-2

Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

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