Campari Spritz oder Ciao Milano

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Frecciarossa! Wenn die Namen von Zügen an Eiscreme erinnern, bin ich in Italien. Mit dem „Roten Pfeil“ erreiche ich Milano Centrale und erhalte einen ersten Eindruck über die Dimension dieser italienischen Stadt, die sich in den letzten zwanzig Jahren zu einer beispielhaften Metropole des modernen und nachhaltigen Städtebaus entwickelt hat. Ein Blog inklusive Originalrezept und Tipps.

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Mailand

stand zu Beginn dieses Jahres ganz oben auf meiner Reiseliste und diesmal reise ich mit der Bahn. Nirgends sonst kann man besser Italienisch lernen als in italienischen Zügen, wo die Mitreisenden ununterbrochen telefonieren.

Mailand ist die Welthauptstadt des guten Geschmacks und dieser Ruf verpflichtet. Ich breche auf und bin neugierig, was diese lombardische Kapitale zu bieten hat.

Die Fahrt mit dem Zug von Wien nach Milano Centrale, mit Umsteigen in Venedig Mestre dauert 8 Stunden. Jedoch empfinde ich diese Reise mit dem roten Pfeil, durch die wunderschöne Landschaft der Emilia Romana, der Po-Ebene, vorbei am Gardasee abwechslungsreich und kurzweilig.

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Das letzte Abendmahl

Der Morgen nach meiner Ankunft begrüßt mich mit blauem Himmel und mein erster Weg führt zur Kirche Santa Maria delle Grazie. Das Ticket für „Das letzte Abendmahl“ hatte ich schon vor Wochen über Get your Guide gebucht. 15 Minuten dürfen die Besucherinnen und Besucher das Gemälde bewundern und 15 Minuten stehe ich wie angewurzelt davor und bin zu Tränen gerührt. Ich lasse mich von diesem Bild packen und in die Dramaturgie hineinziehen: „In verita, in verita, io vi dico, una di voi mi tradira.“ Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, einer von euch wird mich verraten.

Lebendig dargestellt ist die Aufgebrachtheit der Jünger Jesu‘: „Wer ist der Verräter, wer soll es sein?“. Jesus sitzt beinahe unbeteiligt in der Mitte und strahlt Sanftmut und Güte aus. Unser Guide erzählt die spannende Geschichte dieses Gemäldes, wie es hinter Sandsäcken vor den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg geschützt und die Kirche um es herum nahezu zur Gänze zerstört wurde. Die Restauratorin Pinin Brambilla Barcilon verbrachte 21 Jahre damit, das Gemälde Zentimeter für Zentimeter zu analysieren und alle früheren Restaurierungen zu beseitigen. Sie orientierte sich an einer farbigen Kopie, die der Leonardo-Schüler Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino, um 1520 angefertigt hatte. 1999 konnte das vollständig restaurierte Meisterwerk wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Um einen erneuten Verfall zu vermeiden, dürfen nur 100 Menschen pro Stunde in das leere und hermetisch von der Außenwelt abgeschlossene Refektorium des Klosters. An der Südseite des Refektoriums befindet sich die Kreuzigungsszene von Donato da Montorfano, für die kaum Zeit zur Betrachtung bleibt.

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Der Dom

Nach diesem morgendlichen Höhepunkt stürze ich mich ins großstädtische Geschehen. In der Metrostation kaufe ich mir ein Ticket für die nächsten drei Tage. Die Metro in Mailand ist einfach zu verstehen. Ausgerüstet mit Stadtplan und Metroplan kommt man überall hin. Seit den Zwanzigerjahren verkehren die historischen Straßenbahnen und verleihen der Stadt ihren ganz besonderen Charme. Für mich heißt es aber, Prioritäten zu setzen. In den folgenden drei Tagen möchte ich mich einerseits treiben lassen und andererseits viel sehen. Ich verlasse die Metro an der Station „Duomo“ und befinde mich unmittelbar im Herzen der Stadt. Die weiße Fassade der Kathedrale Santa Maria Nascente hebt sich vom stahlblauen Himmel ab. Am liebsten würde ich mich auf den Rücken legen, um dieses Meisterwerk der Gotik zu bewundern, was jedoch angesichts der Menschenmassen nicht möglich ist. Vom „Letzten Abendmahl“ noch immer emotional erfasst, besuche ich meinen persönlichen „Himmel“. Die Camparino Bar, am Eingang der Galleria Vittorio Emanuele II. In der Glasveranda bei Campari Spritz und Snacks sitzend, beobachte ich das Treiben auf der Piazza und in der Galleria. Campari Spritz bedeutet für mich Jugend, Ausgelassenheit, Erinnerungen. „Auf einen Kaffee nach Udine“ war unser Motto in den Achtzigern, nachdem wir unseren Führerschein gemacht hatten. Niemals werde ich meinen Campari mit einem Aperol betrügen, auch wenn beide Getränke vom selben Hersteller sind. Leicht beschwipst stelle ich mich in die Warteschlange, für ein Biglietto zur Dombesichtigung. Der Mailänder Dom ist Wahrzeichen und Stolz der Stadt. Ein Gebirge aus Marmor. „Welches Wunder er ist! So großartig, so ernst, so riesengroß"! Das schrieb Mark Twain nach seinem Mailandbesuch im Jahr 1867. Dieses Bauwerk wirkt so mächtig und gleichzeitig so leicht, gekrönt von der goldenen Marienstatue an der Spitze. „Madonnina“ wird sie liebevoll von den Milanesi genannt. Bis zur Vollendung des Petersdoms Anfang des 17. Jhdts., war der Mailänder Dom die größte Kirche Italiens und gehört heute noch zu den größten Kirchen Europas.  Im Innenraum überwältigt die Gotik, die in ihrer typischen Bauweise himmelwärts strebt und ihren Abschluss im 47 Meter hohen Mittelschiff als Kreuzrippengewölbe findet. Die Grundfläche umfasst 12000 m².

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Vom Sakralen zum Profanen

Mein Weg führt direkt in den Olymp der Mode und Marken. Die Galleria Vittorio Emanuele II, die Mutter aller Einkaufspassagen und die Verbindung zwischen der Piazza del Duomo und der Piazza della Scala. Den Schnittpunkt in der Mitte der Passage überwölbt eine Kuppel aus Glas. Ich schlendere vorbei an den Boutiquen der weltbekannten Modemarken. Ein eigenartiges Ritual ist jenes, wo sich Touristen mit der Ferse dreimal auf dem, im Boden eingelassenen Wappentier Turins, dem Stier, genauer gesagt dessen Hoden, um die eigene Achse drehen. Das soll bekanntlich Glück und Geldsegen bringen. Schon von Weitem erkennt man diesen Ort, an dem sich Menschentrauben bilden. Falls sich nun jemand fragt: „Nein“, ich habe es nicht gemacht. Obwohl frau in diesen Boutiquen durchaus einen Geldsegen gebrauchen könnte.

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Primadonnen kommen und gehen, aber die Scala bleibt

In der Mitte der Piazza della Scala und auf diese blickend, thront ein steinerner Leonardo da Vinci auf einem Sockel. Darunter die Statuen vier seiner Schüler. Einer davon, "Salaj" genannt, war Leonardos große Liebe und über viele Jahre sein Gefährte.

Den Besuch im Museo Nazonale della Scienza e della tecnologia, wie auch die Pinacoteca di Brera mit ihrer weltberühmten Gemäldesammlung, wiewohl weitere Museen spare ich mir für einen Besuch im Winter auf. Das Wetter ist zu schön, für Museumsbesuche. Doch die Scala muss sein und auch hier habe ich Wochen zuvor über Get Your Giude eine Führung bestellt. Dieses Theater reiht sich in die berühmtesten der Welt ein. Erbaut von den Habsburgern unter Maria Theresia, wurde die Scala zum Resonanzraum für antiösterreichische Ideen. Viele kennen die Episode aus den Sissi Filmen, wo das Kaiserpaar in der Loge der Scala sitzt, und das Volk in den Rängen den Gefangenenchor singt. In seiner Oper „Nabucco“ verarbeitete Verdi die Geschichte der, in babylonischer Gefangenschaft befindlichen Hebräer. „Via Verdi“ tönte es im Theater, eine verschwörerische Botschaft, den die Buchstaben des Nachnamens des Künstlers VERDI standen für „Vittorio Emanuele, Re d’Italia". Die Österreicher verstanden die versteckte Botschaft nicht und applaudierten höflich. So die Überlieferung. Dieser Ort, an dem die Großen der Oper wirkten, zieht mich in seinen Bann. Allen voran prägte Franko Zefirelli das Haus und nicht zu vergessen, die Sopranistin Maria Callas, die „Primadonna assoluta“. Sieben Jahre setzte sie, mit ihrer charismatisch-expressiven Darstellungsform neue Maßstäbe, bis der damalige Intendant Antonio Ghiringhelli ihrer Launen und kurzfristigen Absagen überdrüssig war und den Vertrag kündigte. Seine lapidaren Worte: “Primadonnen kommen und gehen, aber die Scala bleibt.“

Diese geballte Ladung an Eindrücken muss erst mal verdaut werden und ich finde ein verstecktes Restaurant im Hinterhof eines Palazzo. Zur Spezialität Mailands, ein Risotto Milanese genieße ich ein Glas Pigno Grigio . Nach Risotto, Vino und Caffe` nutze ich Google Maps, um zum Anfiteatro Romano und zur Kirche Santa Maria Vittoria zu gelangen. Es ist Samstag und es herrscht Lebensfreude auf den Straßen. Ein Straßenmusiker spielt vor der Kirche, die Menschen sitzen entspannt in der Sonne. Weiter geht es, entlang der Porta di Corso, zur Piazza Ticinese, wo mich ein Kunsthandwerksmarkt erwartet. Schmuck, Spezialitäten aus der Region und allerlei Kitsch finde ich an den Ständen. Manches sehr überteuert und eindeutig aus chinesischer Produktion.

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Navigli

Durch die Porta Ticinese komme ich zum ehemaligen Hafen und dem Mercato Communale. Die Navigli sind Mailands künstliche Wasserstraßen, welche die Stadt früher mit den Flüssen Ticino, Ada, Lambro und dem Po verbunden haben und damit einhergehend mit der Adria. Heute sind die Navigli Erholungsgebiet und es zieht ganz Mailand hierher. Entlang der Navigli haben sich Bars, Cafe`s, Restaurants, Second-Hand-Läden mit Vintageprodukten, Künstlerateliers angesiedelt. Ein buntes und fröhliches Treiben gepaart mit Leichtigkeit. Abends genieße ich für 15 Euro einen Aperitivo und kann mich am Buffet bedienen, solange ich essen kann. Besonders der Naviglio Grande ist ein Hotspot. Am letzten Sonntag des Monats gibt es hier einen Antik- und Trödelmarkt. 

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Lombardische Romanik in Reinkultur

Am Palmsonntag finde ich mich am Vormittag in der Basilica di Sant`Ambrogio ein. Es ist die „Herzenskriche“ vieler Milanesi. Die romanische Basilika ist viel älter als der Dom und gehört zum Welterbe der UNESCO. Die Kirche verbirgt einzigartige Schätze. Auf antiken Säulen ruht ein mit Stuckreliefs verzierter Altarbaldachin und darunter der „Goldaltar“ aus dem Jahr 835.  Ins Auge springt eine Bronzeschlange, um die sich Legenden ranken. Es soll sich um jenes Tier handeln, das Gott dem Mose vor dem Auszug aus Ägypten als Zeichen schickte. Ihr werden heilende Kräfte zugeschrieben

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Die grüne Lunge Mailands

Nachdem ich der Palmsonntag Messe kurz beiwohnte, führt mein Weg bei warmem und herrlichem Wetter in den Sempione Park. Auf dem Weg dahin durchquere ich das Castello Sforzesco. Es war das ehemalige Domizil der unterschiedlichen Herrscher und demzufolge war es bei den Milanesi immer verhasst. Heute ist das Castello zu einem Ort der Kunst und Kultur geworden. Der anschließende Park ist die grüne Lunge der Stadt und bietet Raum für Freizeitaktivitäten in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. Ich komme an einer Jogagruppe vorbei und etwas später befinde ich mich mitten in einer Laufveranstaltung. Am nordwestlichen Ende des Parks wollte sich Napoleon einen Triumphbogen errichten lassen, doch bei Beendigung der Bauarbeiten war die Herrschaft Napoleons längst zu Ende und so heißt das Bauwerk „Bogen des Friedens“.

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Life City, das moderne Mailand

Spektakuläre Hochhäuser, Wohnblöcke und eine der größten Fußgängerzonen Europas, das ist Life City unweit des Sempione Parks. Es ist eines der ultramodernen Quartiere in Mailand. Auf dem ehemaligen Messegelände wurde die Neubebauung ausgeschrieben. Den internationalen Wettbewerb gewann ein Konsortium diverser Versicherungsunternehmen. Drei Bürotürme, die Tre Torre, wurden von einem Architektenteam geplant: Daniel Libeskind, Zaha Hadid und Arata Isozaki. Nach gefühlten 20 Kilometern Fußmarsch, genieße ich den Abend in der Sonne am Naviglio Grande.

Den dritten Tag widme ich dem Zentrum. Um 10 Uhr bin ich eine der ersten, die ein Biglietto für das Dach der Kathedrale kauft. Ein MUSS jedes Mailandbesuches. Ich nehme den Aufzug und genieße die lange Zeit, die ich inmitten von gotischen Türmen und Türmchen, Figuren und kunstvollen Spitzbögen verbringen kann. Diese überwältigende Handwerkskunst fasziniert mich und ergriffen stehe ich davor. Das Domdach bietet eine atemberaubende Aussicht. In der Ferne kann ich die schemenhaften Umrisse der Berge erkennen und die Stadt überblicke ich von hier oben in alle Richtungen. Ich vergesse dabei die Menschen um mich, die einem Selfiewahn verfallen sind.

Zum Abschluss schlendere ich durch das Brera Viertel mit seinen pittoresken Straßen und Gebäuden und fahre mit der historischen Straßenbahn ein Stück. Abschließend besuche ich noch einmal die Camparino Bar. Es gibt noch so viel in Mailand zu sehen, deshalb heißt es hier auch Arrividerci` Milano und auf Wiedersehen.

 

Tipps:

Campari Spritz nach dem Originalrezept: 3,75 cl Campari, 6 cl Prosecco D.O.C Cinzano, 1 Spritzer Sodawasser, 1 Orangenscheibe.

Get your Guide - buche dein Ticket für Führungen im Vorfeld. Das letzte Abendmahl ist auf Monate ausverkauft

Zugverbindung ab Wien mit 1x umsteigen in Mestre. Der Bahnhof Milano Centrale ist eine Sehenswürdigkeit für sich. Die Zugfahrt durch die Emilia Romagna, vorbei am Gardasee, ist einfach schön.

Beste Reisezeit in der Nebensaison Jänner bis April und Oktober bis Dezember

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Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

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