Heute breche ich auf - Mein Pilgerweg von Porto nach Santiago

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Spontan entschloss ich mich im März 2019, den Camino Portugues, von Porto nach Santiago allein zu pilgern. Mein gerade erschienenes Buch, das ich genau zu diesem Zweck geschrieben hatte, begleitete mich.

Sonnenunergang

"Heute breche ich auf“

Welche Freude. Mein Buch ist da und ich kann es auf meine Pilgerwanderung mitnehmen. Mein Ziel ist wieder Portugal. Ich liebe das Land und die Menschen. Während des Fluges, schwinge ich mich auf „Saudade“ mit Fadomusik ein: Sehnsucht, Lebenslust, Melancholie, Traurigkeit und Freude. Jene Stimmungen, die einem auf Pilgerwanderungen, vor allem wenn man alleine unterwegs ist, begleiten.

Porto

Am Abend vor meinem Aufbruch, spazierte ich zum Ufer des Douro und zur Kathedrale und genoss den prachtvollen Sonnenuntergang. Freude und Aufregung durchfluteten mich: „Wie wird es mir ergehen?“, „was werde ich erleben?“. Alles ist offen, vieles ist ungewiss.

Steg

Bom dia und Aufbruch

Ein Prachttag erwartete mich. Mit der Metro fuhr ich zur Station „Mercado“ in Matosinhos. Hier beginnt der ruhigere Küstenabschnitt. Ich wanderte zum Teil barfuß den Sandstrand, entlang des Atlantiks und ließ mir das kalte Wasser um die Knöchel spülen. Das wurde mit der Zeit anstrengend und so setzte ich meine Wanderung auf den Holzstegen fort. Ein wundervoller erster Pilgertag, der am Abend eine böse Überraschung für mich bereithielt: Durch meine morgendliche Trödelei am Strand, war ich sehr spät dran und so nahm ich für die letzten 4 Kilometer nach Vila do Conde den Bus. In der Hektik beim Aussteigen, vergaß ich meine superleichten, zusammenlegbaren Karbonstöcke. Schock, Ärger und wenig Chance, diese zurückzubekommen. Ich wollte mir diesen Stress auch nicht antun und damit Zeit verlieren. Den Tränen nahe und etwas aufgelöst, kam ich in mein Quartier. Die Besitzerin tröstete mich und bot mir prompt einen Teleskopstock an, den ein Pilger ein Jahr zuvor zurückgelassen hatte. Er war zwar nicht vergleichbar mit meinen Superstöcken, aber dankbar nahm ich ihn dennoch an. „Was geschehen ist, ist geschehen. Loslassen und nach vorne schauen.“ Im Nachhinein gesehen, betrachte ich dies wieder einmal als kleines Wunder, denn im weiteren Verlauf des Weges stellte sich nämlich heraus, dass der einzelne Stock sich als wesentlich praktischer erwies.

Brücke

Was heißt Pilgern für mich

Für mich ist der Pilgerweg eine schöne Metapher für den Lebensweg. Alles, was einem auf dem Weg passiert oder anders ausgedrückt „geschenkt“ wird, hat einen wertvollen und lehrreichen Hinweis. Glaubte ich doch, den Weg ohne meine Stöcke nicht schaffen zu können und ich schaffte ihn. Glaubenssätze wie dieser, blockieren und hindern uns daran, neues auszuprobieren.

Orientierung

Der Weg nach Osten ist der Weg des Neubeginns, der Weg nach Süden ist der Weg der Veränderung, der Weg nach Westen ist der Weg der Klarheit, der Weg nach Norden ist der Weg des Mutes. (Indianische Weisheit)

Jeden Morgen, bevor ich zu meinen Wanderungen aufbrach, schlug ich willkürlich mein Büchlein auf. Schon am zweiten Tag eröffnete sich mir so das Thema Orientierung, als spirituelle Begleitung. Der Kurzimpuls lud mich ein, meine Zukunft zu reflektieren. Der Camino führt ja von Süden nach Norden und steht für den Weg des Mutes. An diesem Tag setzte ich mich mit meinen nächsten 20 Lebensjahren auseinander. Gibt es noch Träume, die ich mir erfüllen möchte, gibt es konkrete Ziele? Wie will ich aussehen, mit wem will ich mich umgeben, wo will ich leben? Nirgendwo kann man darüber besser nachdenken, als beim Gehen.

Stationen unterwegs

Ich erreichte Orte wie Barcelos, mit dem berühmten Portugiesischen Hahn, Ponte de Lima mit der wunderschönen alten Brücke und Valenca mit der beeindruckenden Festungsmauer, hinter der ich eine entzückende Altstadt vorfand. Die Brücke zwischen Valenca und Teo verbindet Portugal und Spanien.

Pilgerinblume

Am siebten Tag sollst du ruhen

Am siebten Tag fuhr ich mit dem Zug von Valenca zurück zur Küste und übersprang damit eine Etappe. Dies war meiner körperlichen Erholung und meiner Sehnsucht, noch einmal am Meer zu sein, geschuldet. Ich fand ein nettes kleines Hotel bei Redondela, direkt am herrlichen Strand. Dort entspannte ich mich und wagte mich sogar ein wenig ins eiskalte Wasser. Bei 29 Grad Lufttemperatur konnte ich nicht widerstehen. Die Sonne brannte auf die weiße, sonnenhungrige Haut.

Die erste Hälfte war geschafft und für die zweite Hälfte holte ich mir an diesem freien Tag die Kraft.

Der Pilgerweg ist wie ein Spiegel für den Lebensweg

Die Art und Weise wie Menschen auf Pilgerwegen unterwegs sind, spiegelt vielfach die Art und Weise wider, wie sie auf ihrem Lebensweg unterwegs sind: Getrieben von Leistungsdenken, Messvorgaben, Glaubenssätzen wie: „man muss in Herbergen übernachten“ und zu wenig Rücksichtnahme auf die Zeichen des Körpers. So erlebe ich viele Pilgerinnen und Pilger auf meinen Wanderungen. In Gesprächen versuche ich immer wieder, meinen Zugang zum Pilgern zu vermitteln, spüre dabei aber oft Widerstand und Unverständnis. Das Büßen und Leiden beim Pilgern, um Sünden loszuwerden, scheint in vielen Pilgerköpfen tief verankert zu sein. Es gibt aber auch andere, entspanntere Pilgerinnen und Pilger, die frei von solchen Dogmen sind. Eine davon bin ich. Nicht, dass ich es mir leicht mache. Auch ich schleppe meinen Rucksack – im Gegensatz zu vielen, die den Taxitransport nützen – die ganze Strecke selbst. Ich teile mir nur die Etappen anders ein: Die meisten Pilgerinnen und Pilger, die mich in den ersten Tagen überholen, treffe ich nach einer Woche wieder, weil sie humpelnd nur mehr kleine Etappen schaffen oder für einen Tag ganz ausgefallen sind. Ich steigere mich von 15 Kilometern in den ersten Tagen langsam auf 25-30 Kilometer. Ich kenne keine Blasen und Schmerzen. Jeden Morgen mache ich sanfte Wirbelsäulengymnastik und nach zwei Stunden Dehnungsübungen.

Meditieren und Schweigen auf einer Pilgerwanderung

Ich begebe mich meist dann auf eine Pilgerwanderung, wenn ich merke, dass mich der Alltag wieder zu sehr in die Zange genommen hat. Eine Pilgerwanderung ist wie eine seelische Entschlackungskur. Aus diesem Grund pilgere ich auch lieber allein. Das Gehen im Schweigen macht mich sensibel für die Umgebung und meine Wahrnehmung ist schärfer. Außerdem brauche ich meine ruhige Zeit am Morgen, um mich auf ein inhaltliches Thema für den Tag vorzubereiten. Auch Yoga und meditieren gehören dazu. Dafür brauche ich Ruhe und bevorzuge deshalb Privatquartiere, wie einfache Pensionen oder Hotels.

Franzosenkreuz

Ultreija! Vorwärts nach Santiago

Nach diesem herrlichen Ruhetag brach ich sehr früh am nächsten Tag auf und wanderte ein Stück entlang der Küste, bis ich erneut auf den Camino traf. Der Impuls für diesen Tag lautete: „Übergänge“. Es stand der einzige Berg dieses Caminos auf dem Tagesprogramm. Diese 400 Höhenmeter erschienen mir nicht besonders spektakulär, hatten es aber in sich. Steil, steinig, vorbei am berühmten Franzosenkreuz, hinauf auf das Plateau. Eine herrliche Aussicht, frisches Wasser aus dem Brunnen und ein warmer Stein, auf dem ich mich eine Stunde in der warmen Sonne ausruhte, erwarteten mich.

Spirituelle Zwischenstationen

Pontevedra in Galizien, mit dem wichtigsten Heiligtum der Stadt: Die Capela da Virxe Peregrina. Maria als Pilgerin. Das bewegte mich als Frau natürlich sehr und ich verbrachte eine stille und andächtige Zeit in der kühlen Kirche. Überhaupt nahm ich mir viel Zeit für Besichtigungen der Städte und Kirchen: Caldas dei Reis und Padron, zwei weitere sehr alte und schöne Städte mit einer wunderschönen historischen Altstadt.

Padron – leider war nicht die Jahreszeit für die köstlichen „Pimientos de Padron“ - die aus dieser Gegend kommen. Stattdessen schlemmte ich Pulpos. Gegrillter Oktopus in Olivenöl mit einem speziellen Gewürz. Diese kulinarischen Ausflüge waren jedoch die Ausnahme. Meist begnügte ich mich mit dem günstigen Pilgermenü, bestehend aus 3 Gängen, inklusiv einem Getränk.  Auch in Santiago kann man sich damit gut und günstig verköstigen.

Ankommen

Ankommen

Die letzen 25 Kilometer. Wieder sehr früh ging ich los und war gut unterwegs. Bereits um 15 Uhr konnte ich die Stadt von Süden her betreten. Ich hatte mir vorgenommen, langsam und bedächtig zur Kathedrale zu gehen. Nur nicht hetzen. Und so zog ich um 16’30 Uhr auf dem Platz Obradoiro ein. Zum achten Mal und wieder allein. Eine asiatische Reisegruppe applaudierte, als ich den Platz betrat. Ich verbeugte mich theatralisch. Welch ein Empfang.

Füßekathedr

Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen. (Johann Wolfgang von Goethe)

In der Mitte des Platzes legte ich mich rücklings auf die warmen Steine und ließ die Frontansicht der Kathedrale auf mich wirken. Tränen der Freude natürlich, was sonst? Lange verweilte ich und traf auf einige Pilgerinnen und Pilger, mit denen ich auf dem Weg streckenweise gemeinsam wanderte. Umarmungen, Freude, Fotos. Ja, das ist Ankommen in Santiago. So ruhig um diese Jahreszeit, noch wenig Touristen. Im Durchgang zur Hospederia San Martin Pinario spielte wie immer ein Straßenmusikant. Die Hospederia zählt für mich zum Muss in Santiago. Ein 800 Jahre altes riesiges Gebäude, das Pilgergruppen, Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt beherbergt. Zwischen Kathedrale und Franziskanerkirche liegt dieses fulminante Gebäude. Wenn man es betritt, wird man von einer Ehrfurcht gebietenden Stille umhüllt. Ein wunderschöner, kühler Innenhof lädt im Sommer ein, sich zu entspannen und auszuruhen. Schlichte, aber zweckmäßige Zimmer mit Dusche und WC zu einem akzeptablen Preis, direkt neben der Kathedrale sind der pure Luxus. Nirgend sonst möchte ich in Santiago wohnen, denn hier höre ich in meinem Zimmer die Glocke. Ein sanfter, etwas raue Ton. Das Frühstücksbuffet in diesen ehemaligen Klostermauern, ist darüberhinaus wirklich zu empfehlen.

Pilgermitbuch

Santiago de Compostela - der Platz unter den Sternen

Die nächsten zwei Tage in Santiago waren der pure Hochgenuss. Die Pilgermesse, diesmal in der Franziskanerkirche, weil das Innere der Kathedrale renoviert wird. Das Abholen der Compostela, welche die Pilgerinnen und Pilger nach Vorweisen des Pilgerpasses bekommen. Die langen Aufenthalte auf dem Platz vor der Kathedrale, um die Ankommenden zu beobachten. Der wunderschöne Park, gegenüber der Altstadt zum Entspannen. Spüren, schauen, schreiben und dazu ein Gläschen Wein genießen. Leben im Augenblick.

Mein Buch war ein wirklich wertvoller Begleiter und ich habe sehr viel in die freien Zeilen eingetragen, was es nun komplett gemacht hat.

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Tipps

  • „Heute breche ich auf“ Der persönliche Begleiter auf deinen Pilgerweg von Ingeborg Berta Hofbauer Styria Verlag
  • Caminho Portugues Jakobsweg Cordula Rabe Rother Wanderführer. (Gute Kulturbeschreibung, leicht)
    Smartphone und Kreditkarte für Buchungen der Quartiere unterwegs (Booking.com, Airbnb oder Tipps im Buch)
  • 10 % des Körpergewichts als Rucksackgewicht. 1 Liter Wasser genügt. Gute Nachfüllmöglichkeiten auf dem Weg.
  • Knöchelhohe gute Wanderschuhe. Viel Asphaltstrecken und Stöckelpflaster. Stöcke? Siehe meine Erfahrung in diesem Blog.
  • Es gibt viele gute private Pensionen und Herbergen. Die Herbergen generell sollen sehr schön sein. Laut Auskunft der Pilger, die ich befragte.
  • Rucksacktransport von Quartier zu Quartier ist möglich. Hab ihn aber nicht in Anspruch genommen und weiß deshalb nicht was es kostet.
  • Pilgern um diese Jahreszeit kann sehr reizvoll sein. Wenig Menschen unterwegs. Die Städte entspannt und leer. Tage schon sehr warm. Die Nächte aber sind empfindlich kühl. Warme Kleidung unbedingt erforderlich.

Zu den Büchern der Autorin

Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

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