Delta del Po - Reise in ein unbekanntes Italien

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„Großartige Gedanken brauchen großartige Aussichten, neue Gedanken, neue Orte.“ (Alain de Botton). Es ist Zeit aufzubrechen und neue Orte zu entdecken. Andiamo a Italia!

Mein erstes Etappenziel ist Marano Lagunare, ein Fischerdorf in der Nähe von Grado und immer noch ein Geheimtipp, den ich hiermit teile. Im Hotel Stella d‘ Oro checke ich ein und bekomme ein Zimmer con vista sulla piazza. So mag ich es, das ist für mich Italien. Doch halte ich mich nicht lange darin auf, denn die Entdeckerin will raus.

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Viel gibt es auf den ersten Blick nicht zu entdecken: Die malerische Piazza, mit dem tausendjährigen Turm und die sehr überschaubare Altstadt. Der Kanal, entlang dem Fischerboote ankern, eine stillgelegte Fischfabrik, die in ihrer tristen Dominanz dem Ort sein eigenes Gesicht verleiht. Nicht zu vergessen das Naturschutzgebiet, welches bei Ornitholog*innen weit über die italienischen Grenzen bekannt ist. Wer einen Badestrand in Marano L. sucht, wird enttäuscht. Am Ortsende gibt es eine kleine Sandbank, wo einheimische Mütter mit ihren Sprösslingen spielen. Das Baden ist hier streng verboten.

Auf den zweiten Blick findet man urige Osterias und hervorragende Restaurants und  die eine oder andere Kuriosität für die aufmerksame Betrachterin. Vor allem eine authentische Bevölkerung, wo der Fischfang und nicht der Tourismus an erster Stelle spürbar ist. Wenn man ein paar Tage dort ist, blickt man wiederholt in dieselben Gesichter der Einwohner*innen und manche sind durchaus bemerkenswert. Die Donna des Hotels kommert sich rührend um ihren alleinreisenden weiblichen Gast und ein sehr interessantes Paar aus Wien am Nebentisch, ladet mich an seinem Tisch. Der Abend klingt bei anregenden Gesprächen aus. Solch schöne Überraschungen erlebt man, wenn man alleine reist.

Die nächsten Tage fahre ich zum einen mit einem Ausflugsboot durch die Lagune und verbringe einen Badenachmittag in Lignano am Strand, zum anderen kurve ich ziellos herum, bleibe willkürlich stehen und mache mich auf einen Entdeckungsrundgang. Das Finden eines geeigneten Parkplatzes für mein langes und hohes Auto, ist hin und wieder eine Herausforderung, was wiederum meinen Blick für geeignete Stellplätze schärft.

Endlich kann ich auf den Spuren Rilkes, dessen Gedichte mich schon lange begleiten, in und rund um das Schloss Duino folgen. Der Rilkeweg nach Sistiana und zurück ist wohl ein Muss. Nicht nur für mich, sondern für viele andere auch. Danach eine genüssliche Fahrt auf der Strada Costiera „DIE“ Traumstraße der Adria, von Sistiana nach Miramar und gleich wieder zurück.

Strand Chioggia

Aquileia lohnt sich immer wieder für einen Besuch. Mit 750 Quadratmetern ist der Fußboden das größte frühchristliche Mosaik der westlichen Welt und Weltkulturerbe. Ohne Impfnachweis kommt man in Italien in kein Museum mehr hinein. Ebenso ist es sehr zu empfehlen, früh genug einen Tisch für das Essen zu reservieren, denn auch da geht willkürlich kaum mehr was.

Nach beschaulichen fünf Tagen in der Lagune, zieht es mich weiter Richtung Süden. Dem italienischen Reiseschriftsteller Paolo Rumiz folgend, mache ich mich auf, um das Po Delta zu entdecken. In seinem Buch „Die Seele des Flusses“ eröffnet er einen Blick auf ein weitgehend unbekanntes Italien. Auf dem Weg zu meinem nächsten Quartier, der Villa Anconetta in Loreo, lege ich einen Zwischenstopp in Chioggia ein. Eine malerische Stadt, die an Venedig erinnert. Jedoch mit Autos, sehr vielen Autos und anderen motorisierten, knatternden Untersetzern, begleitet von entsprechendem Lärm. Auch das ist Italien.

Ich finde einen geeigneten Parkplatz und nach einem Rundgang, eine traditionelle Osteria, wo ich fürstlich speise: Kleine Knödel aus Stockfischpaste in Backteig als Vorspeise und mein Lieblingsgericht Spaghetti di Mare. Satt und zufrieden verbringe ich den Nachmittag am Strand von Chioggia mit seinen Palmen und dem warmen Wasser der Adria. Dolce fa niente pur.

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Schwer trenne ich mich von Sonne, Strand und Meer, doch will ich mehr. Ich will ein mir noch völlig unbekanntes Italien entdecken. Das Ziel: Il Delta del Po. Meine Unterkunft, die Villa Anconetta entpuppt sich als prachtvolles italienisches Herrenhaus, inmitten herrlicher Natur, an einem breiten Wasserkanal. Die Villa, der Garten mit den Terrakottakübeln, in denen Zitronenbäumchen wachsen, Steinskulpturen, der Brunnen und eine Hochzeitsgesellschaft, lassen mich bei meiner Ankunft glauben, ich sei in einem kitschigen italienischen Film gelandet. Ich empfinde eine echte Freude, angesichts aller Klischees, die sich hier für mich erfüllt haben.

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„Wer reist, weiß, dass die Zeit dehnbar ist. Die Griechen wussten das, sie hatten drei Begriffe für ‚Zeit‘: Kronos bedeutet Geschäftigkeit und Zeitdruck. Aion oder Äon bezeichnet etwas ganz anderes: die ewige, unermessliche Gegenwart, die man in Augenblicken der Muße genießt und die nur die Götter messen können. Der dritte und geheimnisvollste Begriff ist Kairos. Der bezeichnet den günstigen Zeitpunkt, das Unvorhersehbare“

Dieser Ausschnitt aus dem Reisebericht von Rumiz, beschreibt sehr gut, was ich in den nächsten Tagen in dieser Landschaft erleben darf.

Ebene, soweit das Auge reicht. Nur in der Ferne zeichnen sich schemenhaft die Umrisse der Euganäischen Hügel ab. Die Landschaft ist durchzogen von Kanälen, Dämmen und Schilfgürtel. Dominant die Mächtigkeit und Erhabenheit der Flüsse Etsch und Po, die in unmittelbarer Nachbarschaft ins Meer münden. Es herrscht hier eine besondere Atmosphäre: Einschläfernde Ruhe und erregende Spannung.

Adria: Es ist nicht das Meer, sondern die Stadt, die schon der römische Geschichtsschreiber Livius nannte. Vor allem für die Griechen war sie einst ein wichtiger Handelshafen. Das Nationalmuseum von Adria bezeugt die Geschichte von Adria eindrucksvoll. Die Stadt wurde ursprünglich an der Küste gegründet. Durch die Eindeichung und Trockenlegungen des Gebietes, lagerte der Po immer mehr Sedimente ab und so entstand das Delta, das sich immer weiter hinaus auf das Meer schob. Heute liegt Adria 25 Kilometer im Landesinneren und nur wenige wissen von seiner großen Bedeutung in alten Zeiten.

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Ich radle mit einem geliehenen und schon etwas verrosteten Drahtesel entlang der Dämme und Kanäle und entsinne mich aufgrund meines schmerzenden Gesäßes, dass ich doch eher eine Geherin bin. Doch sei allen Radlern gesagt, dass diese Gegend ideal für Radtouren ist.

Niky der Bootsführer erwartet mich schon am Bootsanleger, als ich mit meinem Bus in Porto Tolle anrolle. Ich wurde am Vormittag über das Regionalbüro des Parkes angemeldet, was mich einiges an Überredungskünste auf Italienisch und Englisch gekostet hat. Mein Presseausweis hat dann schließlich doch überzeugt.

Diese Bootsfahrt werde ich wohl nie mehr vergessen. Zunächst auf dem Po di Venezia in Richtung Meer, fahren wir kreuz und quer durch das Delta und beobachten unzählige Vogel: Kormorane, Schwäne, Silberreiher, Flamingos, Stelzenläufer, Brandenten, Kleiner Regenpfeifer, Großer Regenpfeifer und viele weitere mehr. Ein Paradies für Vogelbeobachter*innen. Eine solche bin ich zwar nicht, was meine Begeisterung jedoch nicht mindert. 

Das Boot legt im dichten Schilf an einem eher wackeligen Anleger an. Galant reicht Niky mir die Hand für den Ausstieg. Nach wenigen Schritten tritt die kleine Gruppe aus dem Schilfgürtel heraus und steht an einem weißen Sandstrand. Treibholz und einige recht windschiefe Unterstände für Fischer ergänzen das Bild. Die Adria! Majestätisch breitet sie sich vor mir aus.

Wir sind neun Leute und wandern jede*r für sich umher und genießen, während Niky kalten Spumante in Sektgläsern aus einer Kühlbox hervorzaubert. Eine schöne Geste, um die Stimmung und die Aussicht entsprechend zu würdigen. Auf der Rückfahrt wagt er noch ein paar Meter ins offene Meer und wir können in der Ferne den Leuchtturm von Punta Maestra sehen. Ich stelle mir vor, wie unter dem Boden des Bootes das Süßwasser des Flusses, sich mit dem Meerwasser vermählt. Auf der Rückfahrt ist die Stimmung gelöst. Ich beteilige mich nicht, weil ich völlig ergriffen bin. Ich befinde mich im Aion, in einer unendlichen Gegenwart.

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Sonnige Grüße

Ingeborg Berta Hofbauer

 

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Info und Tipps:

  • Stella D’Oro Trattoria – Alloggio Marano Lagunare www.stelladoro.info
  • Villa Anconetta residenza agrituristico Loreo | www.villaanconetta.it
  • Behörde des Venetischen Podelta-Regionalparks | 45012 Ariano Nel Polesine Via Marconi, 6 | info@parcodeltapo.org | www.parcodeltapo.org
  • Bootstour: Ab Porto Tolle Niky Penini |Mail: deltadelpo@outlook.it 00393428724667 (spricht Englisch)

 

Bücher:

  • Paolo Rumiz | Die Seele des Flusses | Folio Verlag | und alle anderen von ihm.
  • Uwe Rada | Die Adria | Die Wiederentdeckung eines Sehnsuchtsortes |Verlag antheon
  • Pier Paolo Pasolini | Die lange Strasse aus Sand | Verlag Corso

Bücher der Autorin:

  • GEHEN – zur inneren Freiheit finden ®Rucksackgeschichten 2021
  • Heute breche ich auf – der persönliche Begleiter auf deinem Pilgerweg Styria Verlag 2019
  • Rucksackgeschichten ® Anleitung zur Mutkompetenz Novum Verlag 2016
  • Rucksackgeschichten® Aufbruch in ein Leben mit leichtem Gepäck GfiVE Verlag 2013

 

Über die Autorin
Ingeborg Berta Hofbauer ist eine begeisterte Reisende und Entdeckerin von neuen Orten und ihren Menschen. Deren Geschichten dahinter faszinieren sie und inspirieren sie zu ihren Büchern und Blogs. Sie reist vorwiegend mit ihrem Camper und der Bahn und verzichtet weitgehend auf Flugreisen.

Ingeborg B. Hofbauer

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